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AutorenbildAchim

Zwischen Karte und Kompass und digitaler Navigation

Aktualisiert: 6. Jan.

Verlieren wir die Orientierung?


Ich bin 55 Jahre alt und blicke auf eine Zeit zurück, in der die Welt des Navigierens vollkommen analog war.


Vor etwa 35 Jahren, direkt nach meinem Wehrdienst bei der Bundeswehr, belegte ich zusätzlich zu meinem Hauptstudium zwei Semester Vermessungswesen und Kartographie.

Damals war fast alles noch Handarbeit: Theodoliten wurden manuell bedient, Kartierungen fanden mit Kompass und Stift direkt im Gelände statt und Karten wurden mit Lineal und Taschenrechner auf Papier interpoliert und gezeichnet.

Navigation mit einer Topografischen Karte

Fast zeitgleich ließ ich mich von meinem damaligen Arbeitgeber, dem Reiseveranstalter NORA Tours, zum Wildnisführer ausbilden. Mehrere Jahre führte ich dann Touren abseits der Wege im nordschwedischen Hochland – ohne Handy, Smartphone, Garmin, Iridium oder GPS und immer mindestens 20 Leute hinter mir für 7 bis 10 Tage.


Meine Hilfsmittel waren Karte, Kompass, Lineal, Zirkel, Bleistift, Steinhäufchen, Kreide und bunte Fähnchen und eine einfache Zeigeruhr. Orientierung bedeutete, das Gelände zu lesen: die Berge, Flüsse und Seen zu verstehen und sich mit der Natur im Einklang zu bewegen.


In diesem Artikel möchte ich den Generationswechsel zwischen der analogen und digitalen Welt beleuchten. Dabei geht es mir nicht nur um die Unterschiede in den Techniken, sondern auch um die Veränderungen im Mindset – vom Abenteuergeist, der Neugierde auf das Unbekannte. Dem Vertrauen zu sich und in die eigene Intuition bis hin zu den heutigen Abhängigkeiten von digitalen Hilfsmitteln und dem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle.


Kapitel 1: Vom analogen Abenteuer zur digitalen Navigation


Die Revolution der Technik: Seit der Freigabe des GPS im Jahr 2000 und der Einführung von Google Earth 2005 hat sich die Art, wie wir uns orientieren, grundlegend gewandelt. Mit dem Smartphone in der Hand und einem ausgebauten Satelliten- und Mobilfunknetz kannst du heute deine Position mit nur wenigen Klicks bestimmen. Offline-Karten und GPS-Tracking haben Outdoor-Aktivitäten revolutioniert und das Abenteuer für viele zugänglicher gemacht.

Die leistungsstarken Akkus und digitalen Tools erleichtern die Navigation ungemein.


Doch frag dich einmal: Welche Fähigkeiten verlierst du dabei?



Gedankliche Kartenerstellung

Erinnerst du dich, wann du zuletzt versucht hast, dir ein mentales Bild deiner Umgebung zu machen? Dies gelingt Dir nur, wenn Du aufmerksam unterwegs bist, Naturmarken in deine innere Landkarte aufnimmst und die Natur liest.

Die Fähigkeit, eine innere "Karte" zu erstellen, leidet unter der ständigen Nutzung digitaler Navigationssysteme erheblich.

Statt ein Gefühl für das größere Ganze – sei es eine Stadt oder eine Region – zu entwickeln, folgst du einfach den Anweisungen auf deinem Bildschirm. (Weiteres im Anhang zu diesem Artikel)


Räumliches Denken und großräumige Orientierung

Wie gut kannst du dir größere geografische Räume vorstellen? Wenn du dich ständig auf dein GPS und die digitale Karte verlässt, wird dein räumliches Denkvermögen wenig trainiert. Das Vorstellen von Wegnetzen oder Landschaften über das Sichtbare hinaus gerät in den Hintergrund – und mit ihm dein Überblickswissen.

Es jedoch notwendig um große Strukturen zu überblicken. In der Praxis um z.B. trockene von wasserführenden Tälern und Hängen im Vorraus zu erkennen oder nicht überquerbare Flüsse weiträumig zu umgehen.


Orientierung anhand von Landmarken

Nutzt du noch markante Punkte wie z.B. einen hohen Baum, ein auffälliges Gebäude oder einen Fluss oder markanten Berg als langfristige Orientierungshilfen? Wahrscheinlich nicht mehr so oft. Navigationssysteme nehmen dir diese Aufgabe ab, sodass du dich weniger aktiv mit deiner Umgebung auseinandersetzt.

Dabei sind Landmarken entscheidend, um dich sicher und eigenständig zu orientieren. In urbanem Gelände sind dies z.B. Kirchtürme, Funkmasten. In der Natur z.B. markante Berggipfel


Kartenlesen und Karteninterpretation

Kannst du eine klassische Karte noch richtig lesen? Das Rotieren von Karten in deinem Kopf, um sie mit der realen Welt in Einklang zu bringen, ist eine Fähigkeit, die du durch digitale Geräte selten trainierst.

Nehme eine Karte von dort wo Du bist und drehe sie ohne weitere Hilfsmittel so, da sie eimngenordet ist.

Ohne diese Fertigkeit verlierst du nicht nur die Fähigkeit, traditionelle Karten zu interpretieren, sondern auch ein umfassenderes Verständnis für deine Umgebung.


Autonome Wegfindung

Wie gut bist du darin, selbstständig Routen zu planen und zu finden? Wenn die Technik ausfällt – sei es durch leere Akkus oder schlechten Empfang – kann es schwierig werden, dich zurechtzufinden. Der Verlust dieser Autonomie in der Wegfindung ist einer der größten Nachteile der Abhängigkeit von digitalen Hilfsmitteln.

Wie viele Kilometer kannst Du in welchem Gelände pro Stunde zurücklegen? Wie viel % Strecke musst Du zu einer mit dem Zirkel oder Lineal gemessenen Strecke hinzu addieren, um zu einem realistischen Ergebnis zu kommen?


Hippocampus-Aktivität

Wusstest du, dass dein Gehirn – insbesondere der Hippocampus – von der ständigen Nutzung digitaler Navigation beeinträchtigt werden kann? Diese Region ist für räumliche Orientierung und Gedächtnis verantwortlich.

Ohne regelmäßiges Training kann die Aktivität nachlassen. (Sie Anhang weiter unten)


 

Bedenken: "ABER WAS IST, WENN ETWAS PASSIERT?"

Dann musst Du damit zurecht kommen, so wie hunderte Generationen vor Dir auch. Probleme zu lösen, schafft Selbstvertrauen und Problemlösungskompetenzen. Durchhaltevermögen. Mit dem Smartphone schnell mal Hilfe holen, reduziert die eigenen Kompetenzen und auch Leidensfähigkeit erheblich.

Bereite Dich auf Deine Touren gut vor. Körperlich, von deinem Können und auch Materiell. Deine Touren sollten Deinen Fähigkeiten entsprechen. Lerne die Risiken zu minimieren und achtsam zu reisen.

Ein Torneque ist nicht der wichtigste Gegenstand auf einer Tour. Aber vielleicht ein guter Wanderstock als "Drittes Bein".


 

Kapitel 2: Karte und Kompass vs. digitale Navigation


Verlust bewährter Fähigkeiten: Wie oft verlässt du dich auf dein Smartphone, wenn du draußen unterwegs bist? Kartenlesen, der Umgang mit dem Kompass und das intuitive Orientieren im Gelände – das sind Fähigkeiten, die immer mehr verloren gehen. Dabei könnte das Wissen, wie man Geländeformen liest und Orientierungspunkte erkennt, entscheidend sein.


Risiken der Technik-Abhängigkeit: Ist dir bewusst, wie abhängig du von GPS-Apps bist? Sie machen das Wandern und Trekking einfacher, aber sie nehmen dir auch etwas Wesentliches: die Fähigkeit, eigenständig Probleme zu lösen und in schwierigen Situationen zu improvisieren. Was passiert, wenn dein Akku leer ist oder das Signal ausfällt? Panik kann aufkommen oder das abendlich geplante Ziel nicht erreicht werden. Die Ausrüstung für ein Notbiwack wurde wahrscheinlich auch im Auto gelassen?


Die Rolle der Intuition: Vertraust du noch deinem inneren Kompass? Dein Körper besitzt natürliche Orientierungssysteme, die dich leiten können – wenn du sie trainierst. Doch je mehr du dich auf digitale Geräte verlässt, desto weniger nutzt du diese Fähigkeiten. Vielleicht ist es an der Zeit, wieder auf deine Intuition zu hören. (Siehe Anhang)


 

HAST DU DEN MUT, DICH ZU VERLAUFEN?

Ich nenne es: " Einen anderen Weg gehen". Analog zu navigieren beinhaltet immer wieder andere Wege zu gehen, als geplant. Andere Erfahrungen zu machen, als erwartet.



 

Kapitel 3: Abenteuer zwischen Freiheit und Kontrolle


Von Freiheit zur Planbarkeit: Wie definierst du Abenteuer? Früher bedeutete es, sich auf Unsicherheiten einzulassen und Neues zu entdecken. Heute geben GPS und vorgeplante Routen vielen Menschen das Gefühl von Sicherheit. Doch hat diese Planbarkeit nicht auch den Zauber des Unbekannten genommen? Orte zufällig zu entdecken, ohne vorher Bilder und Bewertungen gecheckt zu haben.


Kanu als Sinnbild: Warst du schon einmal mit dem Kanu unterwegs? Früher war es ein Symbol für Freiheit – du, die Natur und das Wasser. Heute sind es oft vorgegebene Routen und GPS-Überwachung, die das Erlebnis steuern. Frag dich: Was bleibt von der Selbstbestimmung, wenn dir die Technik den Weg weist?


Kontrolle vs. Vertrauen: Fällt es dir schwer, die Kontrolle abzugeben? Moderne Outdoor-Aktivitäten spiegeln oft das Bedürfnis wieder, alles planbar zu machen. Doch echtes Abenteuer beginnt dort, wo du dich auf das Ungewisse einlässt. Kannst du diesen Schritt wagen?


 

Noch eine kleine Erzählung dazu:

2007 paddelte ich mit einem Freund den Steel River Loop in Ontario, Kanada. Zu dieser Zeit gab es weder YouTube-Videos noch detaillierte Aufzeichnungen. Ich entdeckte die Tour in einem kleinen Büchlein namens "Ontario's Lost Canoe Routes" – mit einer groben Skizze und ein paar handschriftlichen Notizen.

Es gab keine detaillierten Karten, keinen Kanuverleih und nur wenig Planungsmöglichkeiten. Wir wussten lediglich, dass wir die Kanus am Anfang 2 km mit 400 Höhenmetern bergauf tragen mussten. Die Gesamtstrecke war nur grob abschätzbar, und oft wussten wir nicht genau, wo wir uns befanden.

Tagesetappen einzuschätzen war schwierig, und unterwegs stießen wir immer wieder auf unvorhersehbare Hindernisse wie Logjams oder veränderte Flussläufe. Es war ein echtes Abenteuer!

  

Eine der ärgerlichsten Erfahrungen war unsere Orientierungslosigkeit. Wir konnten nicht abschätzen, wie lange wir noch bis zum Ziel brauchen würden, und paddelten deshalb an vielen wunderschönen Orten vorbei, an denen wir gerne länger geblieben wären.

Am Ende hatten wir vier Tage plus unsere Reserve von vier weiteren Tagen übrig – das war frustrierend. GPS hätte uns hier natürlich viele Vorteile geboten.


#### Was habe ich daraus gelernt?

- Rückflüge immer mit einem Flex-Ticket buchen.

- So planen, dass sie sich der Rückflug nach der Tour richten – nicht umgekehrt.

---

Einige Jahre später erschien das erste YouTube-Video zu dieser Tour. Heute gibt es zahlreiche Videos, Blogartikel und detaillierte Beschreibungen, wie man den Steel River Loop paddeln kann. Alle schwierigen Stellen sind im Voraus sichtbar und planbar.


Das Abenteuer hat sich verändert. Es ist ein anderer Reiz, aber auch eine andere Erfahrung.



 

Kapitel 4: Die Zukunft des Outdoor-Erlebens – Balance zwischen Tradition und Technik

Wiederentdeckung analoger Fähigkeiten: Könntest du dich in der Natur ohne Technik zurechtfinden? Traditionelle Outdoor-Skills wie Kartenlesen und intuitive Orientierung sind nicht nur nützlich, sondern auch Teil eines bewussteren Naturerlebens. Warum nicht ein Tour machen, um diese Fähigkeiten wieder zu erlernen?


Gehe doch einfach mal einen Tag wandern ohne Dein Smartphone mitzunehmen. Erweitere dies dann auf zwei oder drei Tage. Nimm Dir eine gedruckte topographische Karte mit. Plane Dir auch mehr Zeit ein. Es werden dann vielleicht keine 35 km am Tag Höchstleistung, sondern nur 20 km Genuss. Oder 35 km mit "neuen Wegen"

Beobachte dabei Deine Gefühle. Wie geht es Dir an diesem Tag. Welche Gefühle hast Du in den verschiedenen Situationen? Unsicherheit?


Mut zur Unsicherheit: Wann hast du dich zuletzt verlaufen? Es mag unbequem sein, aber solche Situationen bringen dich näher zu dir selbst. Scheitern gehört zum Abenteuer dazu. Bist du bereit, dieses Risiko einzugehen?


Eine Brücke zwischen Welten: Stell dir vor, du kombinierst die Vorteile digitaler Navigation mit den Fertigkeiten traditioneller Orientierung. Damit könntest du das Beste aus beiden Welten nutzen. Wäre das nicht die ideale Balance für die nächste Generation von Outdoor-Abenteurern?


Vorschläge:

  • Besorge für den Notfall ein einfaches Handy zum Telefonieren, aber ohne Internet und Offline-Karten.

  • Besorge Dir von deinem bevorzugtem Tourengebiet ein gedruckte Karte. Plane ein paar Touren und wandere sie dann ab, paddle sie mit den Kanu oder fahre sie mit dem Rad.


 

ANHANG:

Unser Körper verfügt über ein eigenes Orientierungssystem. Dieses System basiert auf spezialisierten Neuronen im Gehirn, die als Orientierungszellen bezeichnet werden[1]. Das körpereigene Orientierungssystem setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen:


1. Spezialisierte Gehirnzellen:

   - Ortszellen (place cells)

   - Kopfrichtungszellen (head direction cells)

   - Gitterzellen (grid cells)

   - Grenzzellen (boundary cells)[1]


2. Sinnesorgane:

   - Augen für visuelle Wahrnehmung

   - Ohren mit dem Vestibulärapparat für Gleichgewicht und Raumorientierung

   - Propriozeptoren in Muskeln, Gelenken und der Haut für Körperlagewahrnehmung[2]


3. Gehirnstrukturen:

   - Erweiterter Hippocampus, einschließlich Gyrus dentatus, Ammonshorn und Subiculum

   - Entorhinaler Cortex[1][3]


Diese Komponenten arbeiten zusammen, um eine kognitive Karte der Umgebung zu erstellen und zu aktualisieren[1][3]. Das System ermöglicht es uns, unsere Position, Bewegungsrichtung und zurückgelegte Distanz zu erfassen und zu verarbeiten[3].


Die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung entwickelt sich im Laufe der Zeit durch aktives Erleben und Bewegung im Raum[4]. Mit zunehmender Erfahrung verbessert sich unsere Orientierungsfähigkeit, was erklärt, warum sich Kinder anfangs weniger gut orientieren können als Erwachsene[4].


Für ihre bahnbrechenden Forschungen zu Orientierungszellen erhielten John O'Keefe, May-Britt Moser und Edvard Moser 2014 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin[1].


Quellen zum Anhang:





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